
Rede zur Aktuellen Stunde
Verabschiedung des Nachtragshaushaltes 2024/2025
19. Dezember 2024
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauer, Herr Regierender Bürgermeister!
Auf diese Regierungserklärung musste Berlin lange warten. Dennoch möchte ich das Einende voranstellen, weil es in diesen Zeiten wichtig ist, dass wir Demokratinnen und Demokraten zusammenhalten, wenn Parteien erstarken, die dem Kreml näher sind als unserem Grundgesetz, weil unsere Demokratie bedroht ist und ein funktionierender Staat das Fundament einer gelebten Demokratie ist. Deshalb arbeiten wir Grüne aktiv an der Verwaltungsreform mit. Dass wir da gemeinsam so weit gekommen sind, dafür gebührt Ihnen Dank, Herr Wegner!
Schade allerdings, dass Ihre Regierungspolitik nur dann funktioniert, wo Sie uns Grüne und auch die Linken mit einbinden! Es zeigt sich, dass Ihre Koalition auch nach eineinhalb Jahren nicht vom Ankündigen ins Machen kommt. Nach einem Jahr Untätigkeit haben Sie sich heute hingestellt und Haushaltskürzungen in Milliardenhöhe gefeiert, weil sie ohne Streit beschlossen worden sind.
Ja, Schwarz und Rot haben in inniger Harmonie diese Stadt ins Chaos gestürzt, und deshalb werden Sie sich auch gemeinsam verantworten müssen. Und lassen Sie bitte die Spielchen, die wir in den letzten Wochen erleben mussten! Sie kürzen gemeinsam ohne jeden Plan, und dann dürfen die Koalitionsfraktionen einzelne Kürzungen abmildern, um sich als Wohltäter darzustellen. Sie schubsen Menschen und Projekte ins kalte Wasser und feiern sich dann für den Rettungsring, den Sie einigen von ihnen hinwerfen.
Sie haben die Regierung übernommen, Herr Wegner, mit dem Versprechen, die Stadt ins Funktionieren zu bringen, und Ihr einziger Job war, die Stadt am Laufen zu halten. Und dann haben Sie alles schlimmer gemacht. Das schwarz-rote Haushaltschaos, Ihr Chaos, ist selbst gemacht. Genau davor habe ich übrigens vor einem Jahr an diesem Pult gewarnt. Und jetzt erklären Sie uns, ein Weiter-so könne es nicht geben und es brauche endlich strukturelle Reformen. Herr Wegner! Da stimmt doch was nicht. Glauben Sie wirklich, das Gedächtnis der Berlinerinnen und Berliner ist so kurz? Ernsthaft: Diese Geschichten passen hinten und vorne nicht zusammen. Sie lavieren sich durch, statt durchzuregieren, denn die wahre Geschichte ist jedenfalls nicht die einer Koalition, die gemeinsam für das Beste von Berlin und für uns Menschen hier arbeitet und die die Stadt am Laufen hält. Hier kommt die wahre Geschichte, die einige von Ihnen aus den Reihen der Koalition übrigens hinter vorgehaltener Hand selbst erzählen.
Erstes Kapitel: Die CDU hat sich die Koalition mit der SPD erkauft, indem sie gemeinsam einen Koalitionsvertrag mit üppigen Versprechungen aufgesetzt haben, ohne über deren Finanzierung auch nur einmal nachzudenken. Der Deal war: Kai Wegner darf Regierender Bürgermeister werden, die SPD darf sich als Garant des Sozialen feiern.
Zweites Kapitel: Schwarz-Rot verabschiedet im Dezember 2023 einen aufgeblähten Haushalt, der alle bisherigen Dimensionen sprengt und zur Gegenfinanzierung reihenweise ungedeckte Schecks enthält, Kürzungsvorgaben in bislang unbekannter Höhe, eine PMA, wie sie diese Republik noch nicht gesehen hat, alternative Finanzierungsmöglichkeiten, die noch nicht mal auf dem Papier existierten. Wir alle erinnern uns sehr gut an die Geldsäcke, mit denen damals der Auftritt der Kollegen Saleh und Stettner im Fernsehen bebildert wurde, noch mal 800 Millionen Euro obendrauf, als ginge es darum, Weihnachtsgeschenke zu verteilen, die dann aber leer sind, wenn man sie aufschnürt. Ich sage nur 29-Euro-Ticket, ein Desaster mit Ansage.
Im dritten Kapitel dämmert es allmählich auch Schwarz und Rot, dass sie die selbst beschlossenen Kürzungsvorgaben auch umsetzen müssen. Der Finanzsenator malt dunkle Bilder von der Zukunft. Monatelang passiert dennoch nichts. Die Koalition geht stattdessen in die Sommerpause.
Viertes Kapitel: Die Herbstferien haben Sie sich auch noch mal gegönnt. Haushaltssperre statt Urlaubssperre, das war damals Ihr Motto. Im November wird dann eine Kürzungsliste vorgelegt, die offenbar im Hinterzimmer – und wir alle wissen, von wem – verhandelt und weder mit den betroffenen Senatsverwaltungen noch mit den Fachabgeordneten und schon gar nicht mit der Zivilgesellschaft rückgekoppelt wurde. Gelder werden gestrichen, die schon längst vertraglich gebunden sind. Investitionsmaßnahmen werden auf Eis gelegt, wo der Bau schon begonnen hat. Senatsverwaltungen sind in den Ausschüssen in diesem Haus nicht mal auskunftsfähig, wie sie die Einsparungen überhaupt umsetzen können. Chaos pur!
Fünftes Kapitel: Der Haushalt, den Sie heute beschließen wollen, ist nicht nur das Ergebnis einer völlig dilettantischen Politik, sondern in weiten Teilen nicht mal umsetzbar. Bis heute besteht keine Klarheit darüber, was genau wo und in welcher Höhe gekürzt wird. Damit haben Sie die Stadt, aber auch Ihre eigene Verwaltung massiv verunsichert. Zuwendungsbescheide werden nicht ausgereicht, Gelder zurückgehalten, und die ersten Träger haben schon Räume und Personal gekündigt und Angebote reduziert, weil sie wenige Tage vor dem neuen Haushaltsjahr immer noch nicht wissen, ob sie 2025 Geld bekommen werden.
Und das traurige Schlusskapitel: Statt Weihnachtsfrieden bescheren Sie den Berlinerinnen und Berlinern Existenzängste, Verunsicherung und Chaos, die sich im nächsten Jahr fortsetzen werden, denn das Haushaltschaos geht ungebremst weiter.
Herr Wegner!
Sie sind gern im Gespräch, überall in Berlin, aber ganz offensichtlich reden Sie weder mit den Betroffenen Ihrer Politik noch mit denen, die diese Stadt am Laufen halten. Wir haben in den letzten Wochen mit diesen Menschen gesprochen, mit sozialen Trägern und Verkehrsverbänden, Kulturprojekten, dem Wissenschaftsbetrieb, Schulen und Jugendeinrichtungen, Menschen aus der Wirtschaft und dem Umwelt- und Klimaschutz. Sie erzählen alle unisono dasselbe: Mit uns hat vorher niemand gesprochen. – Da können Sie berlinern, so viel Sie wollen, Herr Wegner, Sie verstehen nicht, was Berlin am Laufen hält. Da wäre erstens die Berliner Kulturszene. Um Ihre drastischen und völlig planlosen Kürzungen in der Kulturförderung zu rechtfertigen, haben Sie öffentlich versucht, die Supermarktverkäuferin gegen den Theaterbesucher auszuspielen, Theaterbesucher, die in Ihrer Vorstellung offensichtlich alle elitäre Schnösel sind, und die Supermarktverkäuferin, die sich nicht für Kultur interessiert oder sich Kultur nicht leisten kann. Daran ist so ungefähr alles falsch.
Die Berliner Kultur, das sind Zigtausende freischaffende Künstlerinnen und Künstler und Kreative, die oft heute schon kaum das Nötigste zum Leben haben, aber sie sind es, die unsere Stadt zum Glänzen bringen, Künstlerinnen und Künstler, die von Aufträgen abhängig sind, die jetzt nicht mehr bezahlt werden können, und von Atelier- und Proberäumen, die es jetzt nicht mehr geben wird. Und wer sagt Ihnen eigentlich, dass sich eine Supermarktverkäuferin nicht für Kultur interessiert? Haben Sie die Bilder der langen Schlangen gesehen, die sich am letzten kostenfreien Museumssonntag überall vor den Eingängen der Berliner Museen gebildet haben? Die Menschen haben mit den Füßen abgestimmt, Herr Wegner, und zwar gegen Ihren sozialen und kulturellen Kahlschlag. Wenn die Supermarktverkäuferin in Zukunft nicht mehr ins Theater geht, dann wegen der schwarz-roten Kürzungen. Ihretwegen werden sich viele Menschen in dieser Stadt die Ticketpreise tatsächlich nicht mehr leisten können.
Ihre Politik ist schlecht für die Menschen. Sie ist schlecht für Berlin. Lassen Sie mich eine der vielen Hundert Zuschriften zitieren, die uns in den letzten Wochen erreicht haben! Sie stammt von einer in Polen geborenen freischaffenden Künstlerin. Ich zitiere mit Erlaubnis: „Seit 20 Jahren arbeite ich in meinem Bereich. Ich baue ein Netzwerk auf und habe mir einen Ruf erarbeitet, doch ich kämpfe ständig ums Überleben und um die Anerkennung. Der Gedanke an den Ruhestand erscheint mir lächerlich. Werde ich jemals aufhören können? Kann ich es mir leisten? Meine Gesundheit ist ein ständiger Sorgenpunkt. Mit den geplanten Kürzungen wird Berlin das verlieren, was es besonders macht, die Menschen, die es lebendig und lebenswert machen. Ich wünsche mir, dass Sie sich aktiv für eine gerechte Zukunft für Berlin einsetzen und den Dialog mit den Betroffenen suchen.“ Das geht an Sie, Herr Wegner, denn vom Kultursenator erwartet in der Kulturszene ohnehin niemand mehr irgendetwas. Wie wollen Sie die Stadt zusammenhalten, wenn Sie nicht wissen, was Menschen in ihrem Alltag brauchen und wie wir die Schwächsten schützen können? Denn das soziale Berlin findet nicht nur im Haushalt von Frau Kiziltepe statt.
Ihr Versprechen, dass bei der Bildung nicht gespart wird, haben Sie gebrochen. Und wo wird genau gespart? – Bei Klassenfahrten, bei der Schulsozialarbeit, bei Familienzentren, bei der Sanierung von Kitas und Spielplätzen, in den Bezirken übrigens bei Jugendclubs! Im Gesundheitsbereich trifft es die psychosoziale Beratung in den Bezirken und die medizinische Versorgung von Obdachlosen. Die Justiz kürzt ausgerechnet bei der Resozialisierung von Strafgefangenen. Sie sparen genau das weg, was die schwächsten und bedürftigsten Berlinerinnen trägt und schützt. Gekürzt wird aber auch auf dem Rücken all derer, die auf Busse und Bahnen angewiesen sind, um sich täglich in Berlin zu bewegen. Der Preis für das Sozialticket wird verdoppelt, damit Autos weiterhin für gerade mal 10 Euro im Jahr parken können. Der Notfallplan der BVG wird der Normalfall. Menschen frieren an den Haltestellen, weil der Bus wieder mal zu spät oder gar nicht kommt. Tramlinien werden gestrichen, aber an teuren Prestigeprojekten wie dem Schlangenbader Tunnel und der TVO halten Sie fest. Sie haben keinen Plan für Berlin, Herr Wegner, und zwar auch nicht für die Autofahrer – nein, danke! –, denn die Autofahrer stehen durch die Rückabwicklung der Verkehrswende nur noch länger im Stau. Sonst bewegt sich auf den Straßen nichts. Auch dieses Wahlversprechen haben Sie längst gebrochen. Drittens die Wissenschaft: Ja, genau, noch so ein Ressort, bei dem nicht gespart werden sollte. Jetzt gelten nicht mal mehr die Hochschulverträge, die vor wenigen Monaten erst geschlossen worden sind. Die Berliner Wirtschaft, liebe CDU, wirft Ihnen angesichts der Kürzungen vor, dass Sie die Innovationskraft, die wirtschaftliche Zukunft und die Leistungsfähigkeit dieser Stadt gefährden. Die Unternehmen vermissen viertens Verlässlichkeit und fünftens Planungssicherheit.
Wofür genau sind Sie eigentlich angetreten, Kolleginnen von der CDU? War da noch was, oder besser: Bleibt da noch was? Herr Wegner! Eineinhalb Jahre nach Ihrem Regierungsantritt schlingert Berlin wie ein Schiff auf hoher See, dem der Steuermann abhandengekommen ist. Was ist Ihr Plan? Wie wollen Sie die Dauerkrise und das Haushaltschaos beenden? Die Frage, auf die Sie heute eine Antwort hätten haben müssen, lautet: Wie kann eine Stadt auch in Zeiten knapper öffentlicher Gelder gut funktionieren? – Wann schafft die Koalition Planungssicherheit und Perspektiven für die Berlinerinnen und Berliner? Denn es ist durchaus möglich, mit weniger Geld gute öffentliche Leistungen zu erbringen. Das funktioniert aber nur mit einer Strategie, einem planmäßigen Vorgehen und mit Dialog mit den Betroffenen. Es funktioniert nicht mit niedrigeren Standards, denn das heißt weniger Geld für schlechtere Leistungen. Wie wäre es denn stattdessen mit einer Vereinfachung des Zuwendungsrechts, mit Budgets für bewährte Träger und mit langfristigen Verträgen statt endloser kleinteiliger Anträge, Bewilligungen und Belege? Für einen strukturell ausgeglichenen Haushalt kann man Ausgaben senken, aber man kann auch die Einnahmen erhöhen. Unsere Vorschläge für die Anhebung der Grunderwerbsteuer auf das Niveau von Brandenburg, für eine ökologisch sinnvolle Verpackungsteuer und eine sozialverträgliche Anhebung der Parkgebühren haben Sie aber allesamt verworfen und außerdem 1 Milliarde Euro an möglichen Krediten nicht genutzt. Und warum? – Weil Sie – und ich zitiere – den Konsolidierungsdruck hoch halten wollen, so wie es Herr Schneider uns im Hauptausschuss erklärt hat. Okay, Sie wollen also Druck machen, damit gespart wird; aber wem eigentlich – sich selbst, der Koalition? Denn schließlich sind es ja Sie selbst, die das mit dem Sparen und der seriösen Haushaltspolitik eben nicht hinbekommen haben. Aber nein, denn wenn es für Schwarz-Rot eine eiserne Regel gibt, dann lautet die wohl: Schuld sind immer die anderen –, und das bleibt auch in diesem Nachtragshaushalt so. Deshalb behaupten Sie, die sozialen Träger und die Kultureinrichtungen würden nicht wirtschaftlich arbeiten, damit niemand merkt, dass es Ihre Koalition ist, die nicht mit dem Geld umgehen kann.
Berlin braucht jetzt eine Regierung, die einen Plan hat, die Prioritäten setzt und für ihre Entscheidungen politische Verantwortung übernimmt. Ihre Politik, Herr Wegner, und dieser Haushalt sind das genaue Gegenteil davon. Dafür heben wir nicht die Hand.
– Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und allen, die es feiern, frohe Weihnachten und happy Chanukka!