
Rede auf dem Grünen Stadtkongress
"Berlin ist für dich da"
17. Mai 2025
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Gäste –
Wir alle feiern Berlin wegen der Freiheit, die diese Stadt wie keine zweite in Deutschland bietet. Viele Berliner*innen – viele von uns - sind genau deswegen hierhergezogen. Alle dürfen so leben, wie sie wollen in der Stadt der Vielfalt. Diese Freiheit verdankt sich auch der Anonymität der Großstadt. Schiefe Blicke von der Seite gibt es seltener in Berlin.
Doch das Berliner “Geradeaus Gucken” hat auch seine Kehrseite. Die Kehrseite dieser Freiheit ist manchmal die Einsamkeit. Davon sang Marlene Dietrich schon vor fast 100 Jahren. „Jetzt geh ich allein durch eine große Stadt, und ich weiß nicht, ob sie mich lieb hat.“
Es gibt immer mehr Menschen, die in dieser großen Stadt unterzugehen drohen. Die allein bleiben. Oder die aus ihren Gruppen nicht mehr rauskommen. Aus Vielfalt wird dann schnell Vereinzelung. Aus Miteinander wird Gegeneinander. Dieses Gegeneinander hat zugenommen. Das darf uns als Grüne politisch, aber auch als Menschen nicht gleichgültig sein.
Die letzten Jahre waren nicht einfach. Weltweite Ereignisse haben uns in Berlin überrollt und gefordert. Die Coronapandemie, der brutale Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine und die Energiekrise, die internationale Drogenschwemme, der Terrorangriff der Hamas auf Israel, die Bodenoffensive in Gaza, der Angriff auf die internationale Weltordnung durch Trump. All das haben wir überstanden. Aber es hat Spuren hinterlassen.
Für alle sichtbar ist das Elend an U-Bahnhöfen und auf öffentlichen Plätzen, sind die Zelte am Landwehrkanal. Unsichtbar bleiben dagegen die Menschen, die sich immer mehr zurückziehen. Die alte Frau, die trotz Schmerzen nicht ins Krankenhaus geht, weil sie niemanden in ihrem Haus und auch nicht in ihrem Kiez kennt, dem sie ihre Katze anvertrauen würde. All die Kinder mit psychischen Schwierigkeiten, die nach der Pandemie den Anschluss nicht mehr gefunden haben. Arabisch-stämmige Kinder, die jeden Tag zuhause vom Krieg im Nahen Osten hören, aber in der Schule nicht darüber sprechen können, weil ihre Eltern es ihnen verbieten oder die Lehrkräfte nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Jüdische Eltern, die ihre Kinder aus Angst um ihre Sicherheit nicht mehr in öffentliche Schulen schicken. Jugendliche, die nachts lieber zuhause bleiben, weil sie Angst haben, von Nazis attackiert zu werden.
Umgekehrt gibt es in Berlin ein Miteinander und Hilfsbereitschaft dort, wo man sie am wenigsten erwartet. Nach der Sylvesternacht 2023 habe ich die berüchtigte Highdeck-Siedlung in Neukölln besucht. – Da gab es ausgebrannte Wohnungen, die die private Wohnungsgesellschaft seit Jahren nicht saniert. Aufzüge in den Hochhäusern, die monatelang kaputt sind. Und ich habe Jugendliche kennengelernt – dieselben Jugendlichen, über deren Vornamen die Stadt wochenlang erhitzt diskutiert hat – die dort alte Frauen mit ihren Händen aus dem 12. Und 13. Stock herunter- und wieder hinauftragen, damit die überhaupt noch aus der Wohnung kommen. –
Ihre Hoffnung, jemals aus diesem Quartier auszuziehen, haben diese Jugendlichen längst aufgegeben. – Denn auch das gehört zur Realität im heutigen Berlin: Die materielle Lage bestimmt immer stärker, wo Menschen leben, wem sie in den Schulen begegnen, welche Chancen sie haben. Arm und Reich driften weiter auseinander. Das dürfen wir nicht zulassen. Denn das gefährdet nicht nur den sozialen Zusammenhalt. Es gefährdet auch unsere Demokratie.
Demokratie beginnt dort, wo Menschen einander zuhören, in den Geschichten der anderen eigene Erfahrungen wieder erkennen, gemeinsam etwas schaffen. Einander begegnen. Dann nerven Unterschiede nicht – dann werden sie zur Bereicherung.
Unser Berlin, für das wir jeden Tag hart arbeiten, ist ein Berlin, in dem Menschen sich begegnen. In dem es ein Miteinander gibt – auch wenn es manchmal ruppig ist, denn so ist Berlin! Aber wo wir miteinander leben – und wenn es nötig ist, füreinander einstehen.
Wir Grünen stehen für dieses Miteinander. Und deshalb wollen wir vor allem vier Dinge:
1. gemischte Quartiere mit bezahlbaren Wohnungen auch dort, wo die Bessergestellten leben;
2. Schulen, in denen Kinder lernen mit Unterschieden umzugehen;
3. einen öffentlichen Raum, in dem alle sich gern und kostenlos aufhalten können;
4. Öffis, die sich alle leisten können, die alle zuverlässig ans Ziel bringen.
Aber wir sehen: Unter Schwarz-Rot driftet Berlin weiter auseinander.
Das beginnt in den Schulen. Schleichend findet dort eine Umverteilung zulasten der Schwächsten statt: Schulen in Spandau und Marzahn-Hellersdorf werden abgehängt, weil die Bildungssenatorin nicht bereit ist dafür zu sorgen, dass Lehrkräfte sich gleichmäßig auf alle Schulen verteilen. Brennpunktschulen bekommen weniger Förderstunden, obwohl der Bedarf dort am größten ist. - Für Kinder mit Inklusionsbedarf wird kurzerhand die Schulpflicht ausgesetzt, pflegende Eltern werden dadurch komplett alleingelassen. So hängt die CDU die Kinder, die unsere Unterstützung brauchen, immer weiter ab, die soziale Spaltung wird tiefer.
Wenn Kinder in Berlin wirklich gleiche Chancen haben sollen, dann muss man für Ausgleich sorgen, dann muss der Staat sich auf die konzentrieren, die die Hilfe am dringendsten brauchen. Dafür stehen wir.
Gerade Schule muss ein Ort des Dialogs bleiben - gerade jetzt! In Berlin gibt es Projekte, die Imame und Rabbiner gemeinsam in Schulen schicken. So können sie Schüler*innen Gemeinsamkeiten zeigen, die bis dahin nur Vorurteile übereinander hatten. Ausgerechnet solche Projekte will die Bildungsverwaltung streichen. – Doch wenn wir Kindern nicht ermöglichen, Verständnis füreinander zu entwickeln, wie soll es eigentlich funktionieren, dass sie als Erwachsene demonstrieren, ohne in Hass zu verfallen? Nur wenn wir lernen, Unterschiede zu respektieren, können wir auch Gemeinsamkeiten entdecken und merken: am Ende sind wir einfach Menschen. So wie die Holocaust-Überlebende und Berliner Ehrenbürgerin Margot Friedländer es uns noch kurz vor ihrem Tod ans Herz gelegt hat.
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Gäste -
Nichts treibt die Menschen in Berlin so um wie ihre Wohnsituation. Immer weniger Menschen wohnen dort, wo sie ihre Freunde und ihren Sportverein haben, sondern dort, wo sie sich die Miete noch leisten können. Insbesondere Familien finden keine passenden Wohnungen mehr. Viele Menschen trauen sich nicht, sich gegen überzogene Mietererhöhungen zu wehren oder einzufordern, dass ein kaputter Aufzug repariert wird – aus Angst, ihre Wohnung zu verlieren.
In einem so angespannten Markt haben Vermieter*innen große Macht.
Und wer mich ein bisschen besser kennt weiß, was jetzt kommt: Nämlich mein Lieblingszitat aus Spiderman: „Mit großer Macht kommt große Verantwortung“.
Vermieter haben gerade wegen ihrer großen Macht eben auch eine hohe Verantwortung dafür, dass das Miteinander in Berlin besser funktioniert. Wir sind davon überzeugt, dass Eigentum verpflichtet und wir wollen sicherstellen, dass Vermieter*innen ihrer Verantwortung gerecht werden. Wer hier Wohnungen anbietet, muss für Instandhaltung sorgen und einen angemessenen Anteil an günstigem Wohnraum bereitstellen. Wer das nicht tut, hat auf dem Berliner Wohnungsmarkt nichts verloren. Das wollen wir umsetzen.
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Gäste –
Wenn wir Grünen vom Klimaschutz sprechen, behaupten unsere Gegner gern, das sei ein Luxus, den man sich leisten können müsste. – Das ist Unsinn, und zwar gefährlicher Unsinn. – Wir schützen nicht das Klima, wir schützen Menschen und Tiere im Klimawandel! Wir schützen unsere Stadt. Wenn es uns nicht gelingt, die Stadt grüner zu machen, dann bleibt sie nur für die Reichsten lebenswert. Für alle anderen wird es unerträglich – gerade in Sommern wie dem, der uns dieses Jahr bevorsteht.
Deshalb wollen wir Bäume pflanzen, öffentliche Plätze entsiegeln und begrünen und Schulhöfe am Wochenende für den Kiez öffnen. Damit Menschen sich begegnen, gemeinsam Sport machen oder sich um Bäume und Beete kümmern können. Damit Berlin trotz Klimawandel auch im Sommer noch lebenswert bleibt. – Weil es für uns schlichtweg keine Option ist, dass in einigen Jahren einige sich in vollklimatisierte Wohnungen zurückziehen, während die anderen in Hitzesommern nachts nicht schlafen können.
Nach der letzten Wahl war viel von einer Spaltung zwischen Innenstadt und Außenbezirken die Rede. Meine Erfahrung in den vielen Gesprächen, die ich mit Berliner*innen in allen Teilen der Stadt führe, ist eine andere. In dem, was ein gutes Leben ausmacht, sind die Berliner*innen sich überall einig. Sie wollen mobil sein und an allem teilhaben können, was die Stadt spannend macht, sie wollen gute Luft und nachts Ruhe, bezahlbare Wohnungen, gute Kitas und Schulen für ihre Kinder und Einkaufsmöglichkeiten gerne fußläufig.
Ruhe und - mit viel Glück - bezahlbare Wohnungen kann man am Stadtrand finden. Aber viele fühlen sich abgehängt, wenn die Bahn zwar zum Alex oder zum Zoo fährt, aber kein Bus zum Einkaufszentrum im Nachbarkiez. Und fällt die Bahn aus, bleibt nur warten.
Wir haben unter Schwarz-Rot kostbare Jahre verloren für die Verkehrswende. Jahre, die wir mühsam wieder aufholen müssen, wenn wir ein echtes Miteinander in dieser Stadt wollen. Aber genau darum geht es. Deshalb werden wir Bus und Bahn weiter ausbauen, den Takt verdichten und vor allem außerhalb des S-Bahn-Rings mehr Querverbindungen schaffen, damit die, die weiter draußen wohnen, genauso zum Sport, ins Theater oder in die Kneipe kommen und der Arbeitstag nicht schon gestresst beginnt, weil man wieder im Stau stand oder die Bahn ausgefallen ist. – Und wo es keine Spätis gibt, sorgen wir dafür, dass man den Liter Milch im S-Bahnhof auf dem Heimweg kaufen kann.
Und weil es ein echtes Miteinander im Straßenverkehr nur gibt, wenn wir die Schwächsten schützen, braucht es Verkehrsberuhigung überall dort, wo viele zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind und die Unfallzahlen hoch. Das lassen wir uns nicht verbieten – schon garnicht von der CDU, die immer das Miteinander beschwört, aber in Wahrheit die Starken gegen die Schwachen ausspielt!
Liebe geduldig Zuhörende -
Ich habe zu Beginn meiner Rede davon gesprochen, dass Demokratie von Begegnung lebt, und dass die zunehmende Spaltung der Gesellschaft auch unsere Demokratie gefährdet. – Es gibt eine Partei, die die Spaltung offensiv vorantreibt. Eine Partei, der die Vielfalt der Menschen in Berlin ein Graus ist. Die von Remigration träumt und die alles verachtet, was eine lebendige Demokratie und einen stabilen Rechtstaat ausmacht.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Das war überfällig und es muss Konsequenzen haben! Wir wollen, dass Berlin sich im Bundesrat und gegenüber der Bundesregierung für die rasche Einleitung eines Verbotsverfahrens einsetzt. Und wir finden, dass eine gesichert rechtsextremistische Partei nichts in Schulen zu suchen hat. Genausowenig wie Verfassungsfeinde unsere Sicherheit schützen sollten. Deshalb unterstützen wir die Gewerkschaft der Polizei, die gefordert hat, AfD-Mitglieder aus dem Polizeidienst zu entfernen.
80 Jahre nach Kriegsende, fast 100 Jahre nach den Erfahrungen der Weimarer Republik, bin ich dankbar und auch stolz darauf, dass unsere Demokratie in Deutschland heute eine wehrhafte ist. – Wir müssen und wir werden als Demokrat*innen nicht zulassen, dass Demokratiefeinde zerstören, was uns nach der nationalsozialistischen Herrschaft anvertraut worden ist: unsere Freiheit, unser Grundgesetz, die unveräußerliche Menschenwürde aller Menschen, unsere demokratische, vielfältige und offene Gesellschaft.
Berlin ist „dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein“. So beschrieb Karl Scheffler 1910 die deutsche Hauptstadt. Das Spannungsfeld zwischen dem Streben nach Freiheit und nach Miteinander wird Berlin wohl immer begleiten.
Und so landet man von Marlene Dietrich in der Weimarer Republik, bei Peter Fox im Berlin von heute:
Du bist nicht schön und das weißt du auch,
Dein Panorama versaut
Siehst nicht mal schön von weitem aus
Doch die Sonne geht grade auf
Und ich weiß, ob ich will oder nicht
Dass ich dich zum Atmen brauch
Manchmal muss das etwas ruppige Nebeneinander genügen, das Berlin ausmacht. Aber wir leben hier alle zusammen. Und wenn es nötig wird, kümmern wir uns umeinander.
Ich freue mich, dass so viele heute hierhergekommen sind, um gemeinsam Lösungen für ein Berlin zu entwickeln, in dem wir einander begegnen können. Denn alle sollen sich darauf verlassen können: „Berlin ist für Dich da“. Daran arbeiten wir.
Vielen Dank.