
Rede in der Aktuellen Stunde zur
Enquete-Kommission
27. Februar 2025
Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren,
ich zitiere gleich zu Beginn: „Ich glaube daran, dass Allah die Menschen in Vielfalt, also unterschiedlich, erschaffen hat, damit wir einander kennenlernen. Nicht damit wir uns aus dem Weg gehen, uns ausgrenzen, hassen oder einander die Köpfe einschlagen, sind wir vielfältig. Sondern vielmehr sind wir es, damit es nicht langweilig wird, wir neugierig aufeinander bleiben und uns füreinander interessieren.“ Könnte es ein schöneres Motto für eine Enquete-Kommission geben, die Instrumente und Wege suchen soll, um den Zusammenhalt zu stärken, um Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen?
Das Zitat stammt von DerviÅŸ Hızarcı, dem muslimischen Gründer der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA), den wir als einen der Sachverständigen für die Enquete-Kommission benannt haben.
Der Berliner Senat hat angekündigt, dass der Kampf gegen Antisemitismus oberste Priorität genießt. In der Enquete-Kommission werden wir darüber diskutieren, ob dieser Kampf sogar in die Landesverfassung aufgenommen wird, genauso wie der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus – leider bitter nötig, haben doch seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel antisemitische Übergriffe in der Stadt massiv zugenommen. Das dürfen wir nicht dulden, und wir müssen auch auf antimuslimische Vorfälle in der Stadt reagieren. Die KIgA allerdings wird derzeit abgewickelt, genauso wie die Bildungsarbeit von meet2respect, die Imame und Rabbiner gemeinsam in Schulen schickt. Am 19. Februar 2025 hat die Senatsverwaltung für Bildung diversen Projekten aus der Antisemitismusprävention, der Arbeit mit Geflüchteten, der politischen, queeren, intersektionalen und kulturellen Bildung sowie der Präventionsarbeit gegen häusliche Gewalt die Mittel zum 1. April 2025 stark gekürzt oder komplett gestrichen – ohne Begründung, ohne vorherige Gespräche und im kompletten Widerspruch zu den Versprechungen aus dem schwarz-roten Koalitionsvertrag. „Nie wieder“ gilt offenbar nicht für die Bildungsarbeit. Der Eindruck drängt sich auf, dass Schwarz-Rot hier eine Doppelstrategie fährt. Die Enquete-Kommission dient als Ablenkungsmanöver, wo wir über Zusammenhalt diskutieren, während der Senat zugleich die Strukturen in der Zivilgesellschaft gezielt schwächt – Strukturen, die seit Jahren gegen Antisemitismus und Rassismus, gegen Diskriminierung und damit gegen die Spaltung in der Gesellschaft arbeiten. Die Haushaltslage dient dabei als Vorwand für einen Kulturkampf, der immer offener vorangetrieben wird. Nicht nur unliebsamen Projekten wird der Geldhahn zugedreht, auch den Hochschulen droht die CDU unverhohlen mit finanziellen Konsequenzen. So beenden wir aber nicht die antisemitischen Umtriebe an unseren Hochschulen, und so schaffen wir nicht die Orte, an denen alle ohne Angst und Einschüchterung forschen, lehren und lernen können.
Der vielfältigen Berliner Kulturszene wird buchstäblich der Boden unter den Füßen weggerissen. Wissenschafts- und Kunstfreiheit geraten zunehmend unter Druck. Und gegen diesen Eindruck – entschuldige, lieber Raed Saleh! – hilft dann auch das Rettungsmanöver der SPD-Sozialsenatorin wenig, die jetzt einen Notfallfonds für einige der bedrohten Projekte einrichten will. Die KIgA jedenfalls schickt ihre Mitarbeiter jetzt zum Jobcenter. Auf den Notfallfonds will sie sich nicht verlassen, denn dafür hat die Koalition bereits zu viel Vertrauen verspielt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jetzt werden Sie abwiegeln: Irgendwo muss ja gespart werden, und wozu braucht es überhaupt so viele Projekte, die alle gegen Rassismus, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit arbeiten? Aber Friedrich Merz hat im Bund die Blaupause für diesen Kulturkampf doch längst vorgelegt. Wenn die Koalition hier in Berlin sich das zum Vorbild nimmt, dann wird die Enquete-Kommission zur Farce.
Am Vorabend der Bundestagswahl hat Friedrich Merz letzten Samstag in München bei der CDU gesprochen – oder eher gebrüllt. Wo waren diese Leute da draußen, als Walter Lübcke in Kassel von einem Rechtsradikalen ermordet wurde? – so schrie Merz ins johlende Publikum. Wo waren diese Leute, als nach dem 7. Oktober 2023 auf unseren Straßen Parolen skandiert wurden: „From the River to the Sea“? – Und dann drohte Merz unverhohlen, dass er keine Politik für „diese Leute“ – Zitat – machen werde. Gemeint waren Hunderttausende von Menschen, die überall in Deutschland gegen rechts auf die Straße gegangen sind, nachdem Merz einen demokratischen Tabubruch begangen und sich im Bundestag mit der AfD verbündet hatte. Wir hier drinnen und die da draußen, die nicht mehr dazugehören – was Merz da abgeliefert hat, hat mich zutiefst schockiert. Das war Kulturkampf, getrieben von den Rachegelüsten eines Mannes, der sich anschickt, zum Kanzler aller Deutschen zu werden. Das ist der Bruch mit der bundesdeutschen demokratischen Kultur, die unsere Vorväter und -mütter nach dem Ende des Dritten Reichs aufgebaut haben. Allererste Pflicht nach einem Wahlkampf, egal wie zugespitzt er geführt worden ist: Der Wahlsieger und künftige Regierungschef dankt allen, die ihn gewählt haben, und er verspricht allen, die ihn nicht gewählt haben, dass er auch ihr Regierungschef sein wird, dass er sich auch um ihre Belange und Nöte kümmern wird. Können Sie sich vorstellen, wie sehr es ein Land spaltet, wenn das aufgekündigt wird, wenn Menschen sich nicht mehr nur nicht vertreten, sondern sogar bekämpft fühlen, nur weil sie für Demokratie auf die Straße gehen?
Wenn die politische Führung unseres Landes im Freund-Feind-Schema agiert, dann brauchen wir doch über gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht zu sprechen – dann erodiert der Zusammenhalt nämlich nicht nur von unten, sondern er wird von oben zertrümmert.
Nachdem der CDU-Politiker Walter Lübcke ermordet wurde, waren es übrigens diese Leute, diese progressiven, linken Bürgerinnen, die auf die Straßen gegangen sind, um gegen den gefährlichen Rechtsruck und gegen die Ermordung zu protestieren – selbstverständlich, und übrigens auch hier in Berlin-Mitte. Und nach dem 7. Oktober 2023 sind es gerade auch diese Leute, die gegen Antisemitismus und für das Existenzrecht Israels auf die Straße gegangen sind – mit einem Unterschied: Diese Leute haben das auch schon vor dem 7. Oktober 2023 getan.
Jetzt zurück zu Berlin und unserer Enquete-Kommission: Friedrich Merz hat im Wahlkampf nämlich ein fundamentales Versprechen gebrochen – keine Zusammenarbeit mit der AfD; ein Versprechen, das der Berliner Regierende Bürgermeister hier an diesem Pult noch mal sehr klar erneuert hat. Deshalb erwarte ich, dass der Bund eben nicht zur Blaupause für Berlin wird. Unsere Berliner Enquete-Kommission muss ein Gegenentwurf zu dem werden, was im Bund geschehen ist.
Die Koalition hat angekündigt, dass in der Enquete-Kommission sämtliche Projekte auf den Prüfstand gestellt werden, die für ihre Arbeit gegen Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus gefördert werden – oder, wie wir jetzt leider sagen müssen, noch gefördert werden. Und auch für dieses Vorhaben gibt es offenbar schon ein Vorbild im Bund: Zu Beginn dieser Woche hat die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag eine Kleine Anfrage eingereicht. Mit über 500 Fragen wird darin die politische Neutralität von Initiativen und Projekten hinterfragt, darunter das Recherchenetzwerk CORRECTIV, das die rechtsradikalen Verstrickungen der AfD aufgedeckt hat, und – halten Sie sich fest! – die Omas gegen Rechts. Was für Zeiten! Und ich dachte immer, wer sich für die Demokratie einsetzt, der sollte dafür nicht verfolgt, sondern unterstützt werden.
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Auch das spricht für die Enquete-Kommission, denn ja: Wir müssen reden. Wir müssen darum ringen, was unser gemeinsames Verständnis von unserer modernen, liberalen, vielfältigen Gesellschaft ist und was sie zusammenhält. Die Omas gegen Rechts, das sind die Leute da draußen! Das könnten Ihre Mütter, Omas oder – Herr Wansner! – auch Ihre Ehefrauen sein. Es sind die netten älteren Frauen, denen Sie vielleicht mal im Supermarkt den Vortritt in der Schlange oder im Bus den Platz überlassen haben. Ich komme zum Schluss! – Diese Frauen machen sich große Sorgen um den Zusammenhalt, denn sie wollen – genau wie wir –, dass in Berlin Juden mit Kippa herumlaufen können, ohne Angst zu haben, aber sie wollen auch, dass Frauen mit Kopftuch ohne Angst herumlaufen können. Die Leute da draußen, das sind Jugendliche, die von der Polizei kontrolliert werden, weil sie so aussehen, wie sie aussehen. Aber ihr blonder Kumpel, mit dem sie unterwegs sind, dem passiert das nicht. Es sind Berlinerinnen und Berliner, die ihren nicht deutschen Namen ändern, damit ihre nächste Wohnungsbewerbung vielleicht mal eine Chance hat – obwohl sie gut verdienen.
Sie alle sind Berlinerinnen und Berliner. Wir vertreten auch sie, und sie wollen nicht, dass ihre Regierung einen Kulturkampf gegen sie führt. Deswegen – mein letzter Satz: Wir brauchen eine Verständigung, wir brauchen kein „Wir hier gegen die da“, sondern wir brauchen ein „Wir in all unserer Vielfalt“. Ich danke Ihnen!
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Ich danke Ihnen.